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Quelle Text und Bild: Ein Beitrag aus dem St.Galler Tagblatt, 14. Dezember - von Diana Hagmann-Bula
Als Kind versteckt man sich darin. Oder sucht im Schrank nach Monstern. Später quetscht man dort Kleider und anderes Angesammeltes auf engsten Raum. Und noch später im Leben werden sich vielleicht die Enkelkinder um ihn zanken. Im besten Fall, weil sie Erinnerungen an den einstigen Besitzer damit verbinden. Im schlechtesten Fall, weil er noch ein paar Franken einbringen könnte. Der Schrank wächst mit uns.
Trophäe oder Ballast? Der Schrank zeigt es
Sobald die Türen aufgehen, gibt der Schrank Persönliches bis Intimes preis über den Inhaber. Und damit ist nicht Unterwäsche gemeint. BewahrtderBewohner ordentlich auf, was er hortet? Stopft er systemlos rein? Trennt ersichungernvonDingen,dieer nichtmehrbraucht?DerSchrank ist ein Fass ohne Boden, stets zu klein für das, was wir anhäufen.
Doch Schrank ist nicht gleich Schrank. Und: Der Schrank ist nicht nur ein Schrank. Er ist auch Metapher dafür, wie stolz wir auf unseren Besitz sind. Einige bevorzugen Schränke mit Glastüren. Da ist kein schweres Chriesiholz, das den Blick verstellt. Der Inhalt verwandelt sich zur Trophäe: Pokale aus erfolgreichen sportlichen Zeiten, das Generationenfoto samt Urgrosseltern, ein Mitbringsel aus den Afrika Ferien. Der Besucher soll bewundern, er muss bewundern.
Andere stellen einen mächtigen Bauernschrank in die Stube. Darin stapeln sie die silbernen Platzteller, japanische Keramik, Kerzenständer vom Schweizer Jungdesigner: Stilvolles wird stilvoll aufewahrt. Die Hülle lässt sich zeigen. Das Schlafzimmer, wo niemand ein- und ausgeht ausser den Bewohnern,wäre der falsche Standort für ein so repräsentatives Möbel. Eine dritte Gruppe käme gerne ohne Schrank aus, sie schafft es aber nicht. Funktionieren soll er, mehr nicht, schon gar nicht auffallen.
In welchen unterschiedlichen Gewichtsklassen Schränke spielen, verdeutlicht die Ausstellung Cupboard Love im Gewerbemuseum Winterthur. 1,1 Tonnen wiegt die Miniature-Nachbildung der Pariser Kathedrale Notre Dame in Kastenform. Auf 27 Kilogramm nur kommt Dresscode, ein minimalistischer, moderner Schrank. Das eine ein Sammlerstück, das andere ein Möbel, das sich online bestellen und wie ein Ikea-Artikel ohne Vorwissen selber zusammenbauen lässt. Die Schau skizziert die Geschichte des Schranks. Am Anfang war die Truhe. Sie genügte, um zu verräumen, was der Mensch um 1700 besass. Dreht sich beim ausgestellten Exponat der Schlüssel, öffnen sich 27 Riegel auf einmal. Was hier verräumt war, war sicher behütet wie in einem Tresor. Überfluss war damals auch Gutbürgerlichen fremd, jedes Gut rar und wertvoll. Heute, in einer Zeit der billigen Massenproduktion, lässt Belangloses Schränke aus allen Nähten platzen. Da braucht es keine Riegel mehr, da tut es ein günstiger Schrank als Stauraum. Mit zunehmendem Reichtum wurde es enger und enger in der Truhe. Der Schrank war geboren.
Erziehungsmittel für noble Töchter
Doch diente er nicht nur der Aufewahrung. Wohlsituierte Basler Familien führten ihre Mädchen mit Puppenhäusern in Kästen in die Gesellschaft und deren Regeln ein. «Diese waren kein Spielzeug, sie waren ein Erziehungsmittel», sagen Susanna Kumschick, Co-Leiterin des Museums, und Mario Pellin, wissenschaftlicher Mitarbeiter. Manchmal war das Möbel literarischer Giftschrank: Er schloss Bücher weg, in denen religiöses Gefahrenpotenzial schlummerte oder Sexualität zu offen thematisiert wurde. «Nur unter Kontrolle durfte darin gelesen werden. Und bei der Rückgabe wurde geprüft, ob ja keine Seite fehlte.»
Bei Designern verkannt
Regisseure lieben den Schrank. Immer wieder kauern in Filmen Liebhaber oder Bösewichte zwischen Kleidern im Dunkeln, um sich vor eifersüchtigen Ehemännern zu retten oder zuzuschlagen, wenn niemand damit rechnet. Nur die Designer haben es nicht so mit dem Schrank. Als «Stiefind im Design» bezeichnet der Zürcher Produktdesigner Jörg Boner ihn gar. Das habe mit dessen Werdegang zu tun, sagt er: «Früher war der Schrank Teil der Architektur. Er trat in Form von eingebauten Stauräumen auf.» Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Industrialisierung des Bauens einsetzte, vermehrt mit Modulen gearbeitet wurde, begann der Schrank interessant für Designer zu werden. Bei antiquarischen Modellen habe die Rückseite lange aus billigem Tannenholz bestanden, nur die Front aus teurem Material. «Dieses Kulissenartige hat den Schrank abgewertet.» Boner gab sich 2004 einen Ruck und erschuf den preisgekrönten Schrank Dresscode. Damit ist er Designlegenden wie Willy Guhl oder Kurt Thut gefolgt, die neue, leichtere Materialien wie Pavatex, Folien und Stoff statt schwerem Holz wählten. So sieht der Idealschrank der urbanen Nomaden aus. Am liebsten wären sie ballastlos, allzeit bereit, um aufzubrechen, wohin das Leben sie führt. «Heute gilt als smart, wer nicht zwei Zügelwagen braucht, um umzuziehen», sagt Karin Frick, Leiterin Forschung am Gottlieb-Duttweiler-Institut.
Schlafen und arbeiten im Schrank
Der Schrank der Zukunft muss mehr können, als sich zügig zügeln zu lassen. «Er muss Extras wie eine Bar enthalten, die sich ausklappen lässt», sagt sie. Oder er verbirgt ein ganzes Zimmer. Hawi von The Next Enterprise Architekten zeigt, wie das geht. Die 2,3 auf 1,3 Meter grosse Kiste enthält Bett, Regal, Schreibtisch, Kleiderhaken, Nachttischlampe. Für Flüchtlingszentren und Studentenwohnheime eigne sich Hawi, sind die Hersteller überzeugt. Das Leben begrenzt sich auf einen Raum. Bei anderen bekommen Stilettos, Roben und Schminkutensilien ein eigenes Zimmer. Dank Filmfguren wie Carry Brashaw aus «SexintheCity»und realer Diven wie Kim Kardashian schwappt der amerikanische Glam Room nach Europa rüber. Man staunt und denkt: die moderne Variante des guten alten Boudoirs ist zurück, indem sich die Dame des Hauses aufhübschte für Abende in Gesellschaft. Dem behäbigen Bauernschrank bleibt also Hoffnung: Irgendwann kommt seine Zeit wieder. Auch Schränke sind nur eine Frage der Mode.
Cupboard Love bis 22. April 2018 im Gewerbemuseum Winterthur.
Mehr zur Ausstellung: www.gewerbemuseum.ch
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